Wenn es Zeit wird...
im späten Wald
tropft letztes Licht
die Buchen eckern
es keckern Amsel und Dachs
auf Äckern stoppelt borstig der Bart
von gefalteten Lidern fallen
die Schatten schon länger
sich selbst zur Last
Gedanken
(eine handvoll nur)
als Silbertage ranken sie
ums wirre Haupt
und wo die Nacht herab
die blassen Zweige senkt
summt das lose Laub:
du darfst
(©IW, 2024)
Aufklaren. plötzlich
hinter maßlos müden Augen brauen
Wolken sich zusammen
kondensiert diffuse Sättigung
plötzlich zu klarsichtigen Tränen
sie bewässern zögerlich
das innen Abgestorbene
aus schwer wird Mut
am dürren Horizont
ein Regenbogen
(©IW, 2022)
Es streichelt...
der Mai
wieder Haut und Haar
wirft launigen Drosseln den Brautstrauß zu
ihr weicher Gesang kleidet Nester aus
seidig
schimmert der Wald durch die Zweige
wie dünn er ist
viel jünger als neulich
wo Braunes noch grau war.
Aufbruch liegt in der Luft
Zerbrechlichkeit auch
schon morgens verdorren die Tage
ein Samenkorn spannt seinen Schirm
auf und davon
der Regen fällt
auch heute nicht hier.
(©IW, 2022)
Kreidezeit
aus heiterem Himmel
fallen verwelkte Tage herab
heiser knistern sie auf dem Grund
kullern raschelnd und wirr umher
eine Esche zählt stolz ihre Ringe
raspelt Süßholz im wiegenden Winde
in einer Rinde verwittert
schon lang Freyas Herz
zu ihren Füßen dreht sich
kaukasisch der Kreis
kreidet Grenzen an
kreist eitlen Schwindel ein
zu schön gekleidet
um wahr zu sein
Oktoberschicht für Schicht
spricht irgendwann
ob sie will oder nicht
über das was bleibt
(©IW, 2021)
Gehör finden
Nebel senkt sein blasses Haupt
tastet blickdicht Oberflächlichkeiten ab
trübe formt er heute
auf der Außenglätte stummer Häute
stammabwärts staunenswerte Ornamente
filigrane Signaturen
einer schöpferischen Hand.
Hoch oben schneiden Astgabeln
die dicke Luft entzwei
ihr Gerippe sticht an lichten Tagen
dem Himmel längst die Augen aus
oh horch
auf das Wimmern dort unten
wo das zu früh vergilbte Haar
des Farns sich krümmt vor Gram.
Wir brauchen kein Ohr um zu hören
was rastlose Blicke vermeiden zu seh'n
selbst dann wenn der Nebel sich hebt.
(©IW, 2021)
am zweischneidigen Fluss
Ihre Arie anstimmen
taufrisch
sie steigen lassen
vom anderen Ufer aus
wo echtes Mädesüß grazil
dem Lächeln der Klänge lauscht
sich berauschen am offenen Haar
taumelnde Bienen in bauschigen Hosen
kämmen es sonnig im Rhythmus der Strophen
eine Bachstelze liebt es barock
zupft Saiten am Rock einer Dame
die Seiten am zweischneidigen Fluss:
vollkommen
uneins.
(©IW, 2021)
Abendrot
Nun streicht sie das Rot aus dem Abend,
ihr Nachtvogel singt letzte Krumen
aus sprachloser Hand,
verhungert am täglichen Arm,
der ausgestreckt dünner und dünner
hinter dem Rücken der Berge
das Dein
aus der Grußform
ganz leise
entfernt.
(©IW, 2021)
Sturmtief
Mich doch besinnen, vom breiten Weg zu stürzen,
von diesem stolperfreien Asphalt aus, wo man wie jeden Tag flaniert,
mit leichter Hand die Buchstaben planiert,
das Alphabet bequem in Gucci-Taschen mit sich führt.
Mich stürzen zu den Fischen
unterm Moos der Nacht,
wo Schuppen weise von den Augen fallen,
erleben, wie der Atem Knospen trägt
und manche Stunde in den Kiemen nicht zu Teer verklebt.
Verschwimmen mit dem Wald aus Tang,
in dem der Mond versteinert
sich verkriechen wird,
wenn wir den Sturm nicht stillen,
den wir selbst gebären, Tag für Tag.
(©IW, 2020)
Die Windsbraut. Ein Gemälde.
Setzte sich heute der Wind zu ihr
sie striche Wolken
behutsam aus seiner Stirn
und hinge an seinen Lippen
eine Weile lang
ohne lange Weile
wenn er erzählte vom Unbekannten
von all den Phänomenen da und dort
dann verstummte die Hektik der Gräser
sowie die Gaukler und Schwindler
ihre verlogenen Faxen vergäßen
weil das Publikum fehlt das gekaufte
die Claqueure für alle Narzissten
wir sprächen nicht nur über Freiheit
verkörperten sie einfach ganz und gar
wie jeder Windstoß
so selbstverständlich
erfrischend unser Haupt zerzaust.
(©IW, 2020)
die Baumgrenze
Verstiegen
hab' ich mich zu oft
in euren kargen Hängen
Enthusiasmus ausgesät
an fahlem Blick vorbei
weit über Baumgrenzen hinaus
gegriffen und vergangen
an mir selbst.
In eurem Blickfeld
brachliegen die Mulden
hier kauert Nebel
heften Schwaden sich
an Fersen fest wie Kletten;
und irgendwo dort
verliert sich der Weg
die Tage gleiten ins Abseits
ich wandere fort
vom Grauen
ins Blaue hinein
allein.
(©IW, 2020)
über.Forderung am Redefluss
Die Geister scheiden sich
am Redefluss
schießt Un ins Kraut
Unsägliches schwemmt
gnadenlos heran.
Der Sonnentau reißt gierig
Mäuler auf, es übertreten
Schattenreize seine Schwelle
unvermittelt kondensiert
die Ohnmacht
in entsetzten Augen.
Derweil das Schilf
sich seine Hände
leise knisternd wäscht
in lauter Un
-
Schuld?
(©IW, 2020)
Jetzt
Wie gerne
wäre es Sommer
geblieben
sind Krähen zuhauf
sie brechen ihr schwarzes Gezänk
vom Zaun und
Windbäume wabern von Norden heran
verbiegen ihr Rückgrat wie Greise
ein Acker zieht Furchen ins Jetzt
es bietet Erkalten
die Stirn
solange
es geht.
(©IW, 2019)
das Mauerblümchen
Im Angesicht der Finsternis
versteinert ungerührt Geborgenheit
bis zur Unkenntlichkeit
umnachten Lippenblütler auch bei Tag.
Doch hinter seiner rauen Schale
regt sich
in einem Spalt aus Licht
Gespür
sagt sich das Mauerblümchen los
von seiner Traumhaft
spricht von nun an traumhaft
ganz für sich allein.
(©IW, 2019)
Frühling im Kopf
In deinen Faltentälern
hält sich der Nebel bedeckt
früh morgens
sticht jeder Lichtstrahl im Ungelenk
die Geier gieren nach Beute
doch heute
gehen sie leer aus
deinen Augen hebt sich der Tag
sprießt lindgrün das Neue und
unter dem Herbstwind
verstecken die Lerchen ihr Nest
der Gesang verdreht
meinem Flusslauf den Kopf
wir staunen uns jung
von der Mündung hinauf
bis zur Quelle.
(©IW, 2019)
Weigelie
Eine Weigelie blüht
in meinem Garten Eden
sie darf nicht
in den Himmel(n) wachsen
mahnt ihr beharrlich
Jahr für Jahr.
Ich schneide sie zurück
beschneide mich
es ist wie sterben.
(©IW, 2019)
ungestillt
Am Meerbusen
brachliegen Boote im Tang
gestrichen die Segel
die Kiele noch nicht
ungestillt
klopfen die Seile am Mast.
Der Wind hat gedreht
an den Dünen
streut Sand in die Augen
der letzten Verträumten
das Seegras fügt sich gebeugt
seiner Strenge.
Ein Paar in der Ferne
wirft Lachen
den Möwen zum Fraß vor
und während sie zanken
treibt Tatendrang Kraniche
vor sich her fort von hier.
Ihr flirrender Ruf vibriert
in verkrusteten Adern
die Herztür fliegt auf und
wo ist mein Süden?
(©IW, 2019)
ohne Worte
Aus allen Wolken gefallen
gebärden sich Schneeflocken
im Wind
erzählen in jeder Sprache und keiner
voll fraktaler Schönheit
von ihrer Nähe zu mir
von Tango und Rumba in meinem Arm
kein Tänzer senkt und erhebt sich
so mühelos über die Schwerkraft
ich reiche ihnen die Hand
(ver)führe mit meiner Wärme
bis sie auf mir weinen
um uns.
(©IW, 2019)
Altlasten
Hinter jedem Wortstamm gräbt sie nach Trüffeln
dann ist der Nährboden aufgewühlt - sie auch
fruchtbar hätte er sein können doch
alt lastet ein Bodensatz unter der Hörschwelle
er verdichtet sich selbstredend
zudecken ist leichter als zugeben
Vogel Strauß macht Politik zunichte und
unter diesem Druck verhärtet sich das Leben
bildet nicht viel mehr
als Sedimente.
Nach Trüffeln gräbt sie weiterhin
und erntet Ammoniten.
(©IW, 2018)
auf der Kippe
ziellos und gelangweilt
trödelt eine matte Brise
durch lichtgesättigtes Gelb
Weizenähren wiegen träge wippend
ihre Reife gegeneinander ab
der Bach tänzelt nicht mehr
reglos döst sein Bett
liebestolle Grillen raspeln schamlos
ihre dürren Beine um die Wette
der Lähmung zum Trotz
aus verdorrten Kehlen
nirgends ein Laut
als stünde die Zeit
doch still
ein Antippen nur
und der hohe Sommer kippt in den Herbst
(©IW, 2017)
Afrika
Nacht brandet gegen deine Stirn und meine
ihre Gischt erbricht dort unaufhaltsam
die einzige Laterne bewirft uns
schein-heilig
durch Lamellen der Jalousie
Zebrastreifen aus Licht und Schatten
häuten unsere Körper wegweisend
schneiden sie in Scheiben
Zebras streifen unterdessen
durch dich und deine Träume
körperlos frei - so gern
wolltest du einmal
nach Afrika
(©IW, 2018)
das Gastmahl
Stählern bittet der See zu Tisch
auf Messers Schneide serviert er
Sahnewölkchen in Kristallschalen
artig nickt das Schilf
sie ab beflissen auch
der Wind haucht seine Seele aus
und krümmt der Perfektion
kein Haar mehr.
Zwischen den feinen
G(e)ästen ohne Unterleib
hängt mein Lächeln
am seidenen Faden
Netze aus Konsens
werden ausgeworfen
um es einzufangen doch
unter der Fassung des Aquamarins
suhlen sich meine Molche
im schlammigen BioTaupe.
(©IW, 2018)
Pulsare
In einem stillen Arm
der Milchstraße sprachen sich zwei
freimutig aufeinander zu
mit dem wundersamenden Ziel
sich zusammenzuschweigen
als Erlösung von Gesetz-Mäßigkeiten
jenseits aller Gravitation oder Fliehkraft.
Notgedrungen
schwiegen sie schließlich
auseinander
nicht weil es nichts
zu sagen gäbe
sondern zu viel.
Worte sterben manchmal
als Supernova
ihre universelle Energie aber bleibt
ein ewiges Pulsieren.
(©IW, 2018)
Mama Ätnas Übelkeit
Sie werfen sich Kopf über
Bord wollen überbordend
mehr als bloß
Meer Enge sein
bei Gibraltar und östlich
schwimmt Afrikas Scholle nordwärts
ihre Wiege schaukelte einst unsere Kinder
nun kentert sie vor 'Mama Ätnas' Füßen
erschüttert übergibt die sich
und Sizilien Neuland
vernichtend und fruchtbar zugleich.
(©IW, 2018)